Gert Wiedmaier, "Blickrichtungen"
Ausstellung vom 2. April bis 20.Juni 2017
Als Besucher ohne Ortskenntnis ist es nicht einfach, sich in Ostfildern zu orientieren. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Stadt aus sechs Einzelstadtteilen besteht. Eine spannende Ausgangslage für Gert Wiedmaier.
Künstler arbeitet mit Ostfildener-Bezug
Projektbezogene Auseinandersetzung mit Städten, ihren urbanen Strukturen und Landschaftsräumen sind wesentlicher Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit.
Seit etlichen Monaten kann man ihn in den sechs Stadtteilen Ostfilderns treffen. Hier entstehen scheinbar beiläufig die Vorlagen, die im wahrsten Sinne des Wortes zu Grundlagen für seine Kunstwerke werden. Immer wieder sind Motive für Insider identifizierbar, zuordenbar. Andere könnten überall ihren Ursprung haben und spiegeln damit eine Lebensrealität zwischen Identität und Beliebigkeit des urbanen Raumes wider.
Kunst entgegen einer oberflächlichen Wahrnehmung
Die digitale Bilderflut in unserem Alltag bewirkt oft eine flüchtige oberflächliche Wahrnehmung. Gert Wiedmaier hat diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Seine Fotoarbeiten fordern Vertiefung und Ruhe, ein "Sich einlassen" und haben gleichzeitig eine über den Moment hinaus wirksame Präsenz.
Herstellung der Wachsarbeiten
Schon die Herstellungsprozesse erfordern eine meditative Konzentration. Bei seinen Wachsarbeiten trägt der Künstler die Wachsschichten in einer meditativen Tätigkeit Schicht für Schicht auf die Basis des Fotomotivs auf. Bis zu 50 Wachsschichten schieben sich zwischen Betrachter und Motiv. Es wirkt wie ein Zeitschleier zwischen den Moment der Wahrnehmung und den Moment der Erinnerung. Dieser langsame, intensive Prozess scheint mit einer Übertragung von Energie auf das Kunstwerk einherzugehen.
Die Bilder wirken gleichsam energetisch geladen. Gleichzeitig durchlaufen sie eine Wandlung. Sie fordern das Erinnern und die Entstehung innerer Bilder heraus. Die Überlagerung der Fotografien mit Wachsschichten fordern einerseits Ruhe und Vertiefung, schaffen andererseits Distanz.
Diapositive
Eine zweite Serie von ebenfalls acht Karten zeigt auf Wachs projizierte Diapositive. Die Motive werden facettenartig gebrochen. Es entsteht eine gewollte Unschärfe, aber gleichzeitig auch eine Überzeichnung und Intensivierung durch Reflexionen.
Mehrfachbelichtungen
Auch die Serie der sogenannten Mehrfachbelichtungen verstärkt die Irritation des Betrachters. Handelt es sich um historisches Material, um eine Fehlbelichtung? Auf der Suche nach einer geeigneten Distanz zum Motiv ist ein schnelles, oberflächliches Konsumieren nicht möglich. Die drei präsentierten Fotoserien, wie auch eine ortsbezogene Installation, widmen sich dem wesentlichen Thema des Künstlers: dem Prozess des Verhüllens, Überdeckens und Überlagerns.
Der Reiz Gert Wiedmaiers künstlerischer, fotobasierter Arbeiten liegt in der Ambivalenz des vergegenwärtigten Moments und der Erinnerung. Diese geht mit Assoziationen einher, die sich zwischen Nähe und Ferne, Schärfe und Unschärfe, Vertrautheit und Befremdlichkeit bewegen. Die Originale - wie auch die Postkarten - bewahren sich ihre Geheimnisse. Sie fordern Fragen ein und ziehen uns als wahre "Sehens-Würdigkeiten" in ihren Bann.
16 Motive Gert Wiedmaiers aus allen Stadtteilen sind als Edition bzw. Vorzugsausgabe in der Ausstellung erhältlich. Es handelt sich hierbei um Postkarten, gedruckt auf dem gängigen Bildmedium des Erinnerns des vergangenen Jahrhunderts.
Auch wenn die Postkarte mittlerweile häufig durch Whatsapp, Facebook oder Mail verdrängt wird, hat sie sich ihren Stellenwert als neutraler Massenartikel erhalten. Sie bekommt ihre individuelle Note durch eine persönliche Grußbotschaft.
Die Karten von Gert Wiedmaier dagegen basieren auf Unikaten. Es handelt sich gewissermaßen um reproduzierte, künstlerische Auflagenprodukte.
1961 in Stuttgart geboren
1982 Universität Stuttgart
1983 - 1991 Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
1990 Akademiepreis
1991 - 1993 Atelierstipendium des Landes Baden-Württemberg
1992 / 93 Landesgraduiertenförderung
1998 / 99 Stipendium Cité Internationale des Arts, Paris
2006 Stipendium Center for Contemporary Art, Samara